Der Hamelner Volkssturm
Am 18.10.1944 wurde der Führererlass zur Bildung des „Volkssturms" veröffentlicht. Dieser war aus "allen waffenfähigen Männern im Alter von 16 bis 60 Jahren" zu bilden.
Völlig unzureichend ausgebildet und ausgerüstet sollte dieses letzte Aufgebot den schon an den Grenzen des Reichs angelangten Vormarsch der Alliierten noch aufhalten.
Im Sommer 1944 war diese Entwicklung schon eingeleitet worden als Gauleiter Lauterbacher im gesamten Gau "Wehrappelle" abnahm, um die noch vorhandenen waffenfähigen Männer zu sichten und die Bevölkerung auf diesen letzten Schritt in den totalen Krieg einzuschwören.
In Hameln fand der Wehrappell am 18.06.44 mit einem Aufmarsch im Hindenburg-Stadion (heute Bürgergarten) statt; "ein heiliges Bekenntnis des deutschen Volkes zum Wehrwillen und zum Siegeswillen", so Kreisleiter Dröge. Am 19.10.44 fand dann auf eine NSDAP-Großkundgebung in Hameln unter dem Motto "Lieber tot als Sklav!" die Proklamation des Gausturms Südhannover-Braunschweig durch Gauleiter Lauterbacher statt.
Lauterbacher versicherte - wohl in Kenntnis der völlig unzulänglichen Ausrüstung des Volkssturms, "dass in großen weltanschaulichen Kämpfen weniger das Material als vielmehr die Moral, die Haltung und der Glaube am Ende den Ausschlag geben. Die Kampfbereitschaft des Bückeberg-Kreises betonte Kreispropagandaleiter Brodhage, "Der Feind wird unseren Boden nicht betreten, ohne auf einen wohlorganisierten und fanatische Widerstand zu stoßen, der seine Pläne zunichte macht.
Am 12.11. wurde reichsweit der Volkssturm vereidigt. Die Vereidigung des Hamelner Volkssturm-Bataillons - nach Wohnbezirken gegliedert und zu wöchentlich halbtägigen Dienst verpflichtet - nahm Kreispropagandaleiter Brodhage auf dem Sedanplatz vor. Als Bataillonsführer fungierte Bürgermeister Busching.
In der Folgezeit veröffentlichte die DWZ unter der Rubrik "Der Deutsche Volkssturm" die jeweiligen Dienstbefehle für die verschiedenen Volkssturm-Einheiten.
Aufgeteilt in drei Bataillone mit Spezialeinheiten wie Tross- und Reitereinheit, Pionier-Sturmbootkompanie, Transportkolonne und Nachrichtenzug bot der Volkssturm zumindest auf dem Papier - ein imposantes Bild. Eine mehrmals in der DWZ abgedruckte Anzeige “Alles für den Volkssturm" vermittelt allerdings einen anderen Eindruck. Darin wird bekannt gegeben, dass die NS-Frauenschaft Ausrüstungsgegenstände für den Volkssturm sammelt: Uniformteile, Kopfbedeckungen, Wollsachen, Schuhzeug, Lederzeug u. a. So entsteht ein Einblick in das fatale Sammelsurium an Ausrüstung - vom Fußballstiefel über die Skimütze bis hin zur Försteruniform -, die den Volkssturmmännern dann schließlich zur Verfügung stand.
Zum Einsatz gegen die Amerikaner kam es letztlich nicht. Zwar soll ein Hamelner Volks-Sturmführer erklärt haben "Hier an der Weser wird dem feindlichen Vormarsch Halt geboten! Und der Volkssturm verteidigt nicht nur - er greift an." Die Realität aber sah anders aus. Nur an einen Teil der Volkssturmmänner wurden - z. T. unbrauchbare - Gewehre ausgegeben, mit denen sie dann im Industriegelände auf Wache gingen. Etliche Volkssturmmänner waren gar nicht angetreten, andere lagen unbewaffnet in Gärten und hinter notdürftig aufgebauten Straßensperren oder patrouillierten durch die Stadt. Schließlich wurden sie von ihren Einheitsführern nach Hause geschickt oder entfernten sich selbständig, was nicht ungefährlich war, denn Befehlsverweigerung konnte mit dem Tod bestraft werden.
In DWZ, 12.07.1950 wird der Fall des Arbeiters Beißner aus Fischbeck beschrieben, der seine Teilnahme am Volkssturmdienst verweigerte und deshalb nach Hameln abgeführt wurde, wo er spurlos verschwand, bis 1946 seine am Ilphulweg verscharrte Leiche gefunden wurde. Die vom Staatsanwalt erhobene Mordanklage gegen Unbekannt wurde mit der Begründung, auch eine "verirrte Kugel" könne Beißner getötet haben, wieder eingestellt. Bis heute ist unklar, ob Beißner tatsächlich wegen seiner Befehlverweigerung ermordet wurde oder auf andere Art ums Leben kam.
Nur eine Einheit des Hamelner Volkssturm konnte sich den Kampfhandlungen nicht entziehen. Noch vor dem Näherrücken der Amerikaner war ein Bataillon aufgestellt worden, in dem sich etliche bisher uk (unabkömmlich) -gestellte Soldaten und von der NSDAP Reklamierte befanden. Dieses Bataillon wurde am 23.01.1945 in der Viktoria-Luise-Schule und der Hermannschule zusammengezogen und am 27.01.1945 an die Ostfront geschickt; nur wenige kehrten aus russischer Gefangenschaft zurück.